Содержание материала

Der Tod der Großfürstin

Am 16. Januar 1845 war ich krank. Ich erinnere mich nicht, was mir fehlte, aber wahrscheinlich war es der Anfang einer ernsthaften Krankheit, denn man legte mir nasse Tücher auf den Kopf; ich hatte Fieber. Plötzlich lief der Sekretär der Großfürstin, Madei, in das Zimmer, in dem ich im Bett lag, und rief: “Schnell, schnell, die Großfürstin stirbt!”. Bei dieser Nachricht sprang ich aus dem Bett, warf alle Tücher von meinem Kopf, kleidete mich mit Mühe und der Hilfe anderer an, nahm die Heiligen Gaben und begab mich in das Schloss. Dort fand ich alle in vollkommener Verwirrung, aber ungeachtet dessen wandten sich alle an mich mit der Frage, was mit mir sei. In solchem Maße sah ich krank aus. Hier erfuhr ich, dass die Großfürstin eine Totgeburt weiblichen Geschlechts gehabt und einen Anfall von Epilepsie erlitten hatte. Ich fragte den Arzt, was er von dem Zustand der Großfürstin halte. Darauf antwortete er: “Tun Sie schnell Ihre Arbeit, sonst wird es zu spät!”. Da kleidete ich mich an und ging mit den Heiligen Gaben zu der Sterbenden. Ich fand sie in furchtbaren Krämpfen und musste einen Moment finden, wenn sie ab und zu Bewusstsein kam, um ihr die Heiligen Gaben zu reichen. In diesen Momenten des Bewusstseins fragte sie nach ihrem neugeborenen Kind, und man sagte ihr, es sei ein Junge, lebendig, und man würde ihn ihr bringen, sobald sie sich beruhigt habe. In dieser trügerischen Gewissheit starb diese junge Großfürstin, die alle Voraussetzungen für eine glückliche Zukunft hatte, von ihrem Gemahl geliebt und ihren neuen Untertanen hoch geschätzt, die Herzogin von Nassau. Als sie den letzten Atemzug aushauchte, warf sich der Herzog klagend an meine Brust mit den Worten: “Genau vor einem Jahr habe ich mit ihr unter dem Hochzeitskranz vor dem Altar gestanden.”

 

Voll erschütternder Eindrücke kehrte ich nach Hause zurück, meine Krankheit völlig vergessend. Es gab wirklich keine Zeit daran zu denken, denn nun begannen die Totengottesdienste am Leichnam der Verstorbenen, sodann die Vorbereitung für die Überführung in unsere Hauskirche, die zu diesem Zweck ganz mit schwarzem Stoff ausgekleidet worden war. Dabei erinnere ich mich, dass mir die Frage des Nassauischen Hofmarschalls sehr seltsam vorkam: “Welche Farbe ist bei den Russen die Trauerfarbe?” In solcher Weise war Russland damals bei den Deutschen noch eine terra incognita, von der man die seltsamsten Vorstellungen hatte. Sie wären keineswegs erstaunt gewesen, wenn man ihnen gesagt hätte, dass in Russland die Trauerfarbe rosa, und die festliche Farbe schwarz sei. Doch hierbei waren sie offensichtlich zufrieden, dass wir uns mit ihnen zusammen in schwarze Farbe kleideten angesichts des allgemeinen Kummers, der sie wie auch uns ereilt hatte. Unsere Kirche war bald fertig, und am dritten Tag nach dem Tod der Großfürstin wurde ihr Leichnam aus dem Schloss in die Kirche gebracht. Die Zeremonie fand abends statt, bei Fackellicht, unter Begleitung unseres Klerus im Ornat und unter dem Gesang: “Heiliger Gott”. Von diesem Moment an wurden in unserer Kirche täglich Panichiden am Sarg der Verstorbenen gefeiert, fast jedes Mal in Anwesenheit des Herzogs und des gesamten Hofes wie auch unserer Gesandtschaft in Frankfurt, bis ein Platz für die zeitweise Aufbewahrung des Körpers in der städtischen protestantischen Kirche geschaffen wurde. Unter der Orgel wurde eine Art Kapelle errichtet, wo wir Totengedenken feierten. Die Übertragung des Körpers in diesen Raum wurde auch feierlich vollzogen, nachdem in unserer Kirche der Totengottesdienst stattgefunden hatte, in dessen Verlauf ich eine kurze Rede in deutscher Sprache, an den Herzog gewandt, hielt.

 

Als denkwürdige Episode bei der Erstellung dieser Rede kommt mir ein Streit mit meinem Deutschlehrer in den Sinn, unter dessen Anleitung ich diese Rede verfasste. An einer Stelle, wo ich mich folgendermaßen ausdrückte: “Unser Herr Gott Jesus Christus”, strich er mir das Wort Gott durch. Darauf bemerkte ich, dass ich ihn nur um die Berichtigung des Stiles bäte, nicht aber meiner Gedanken oder meines Glaubens. Er erwiderte mir äußerst naiv, dass er nur meinen Stil verbessere: auf Deutsch könne man Herr Gott Jesus Christus nicht sagen, das widerspräche dem Geist der deutschen Sprache und schockiere das Ohr eines jeden Deutschen. Vergeblich bemühte ich mich zu beweisen, dass hier nicht der Ort sei, über die Gottheit Jesu Christi zu rechten, und dies unser gottesdienstlicher Ausdruck ist; mein Lehrer bestand darauf, dass man das auf Deutsch nicht sagen könne. Das zeigte mir, in welchem Maße der protestantische Rationalismus in Fleisch und Blut der Deutschen eingedrungen ist, der es nicht einmal zulässt, eine ihm fremd gewordene Idee in Worten auszudrücken. Auf diese Weise endete mein Dienst am Hof. Es begann der Dienst in der Gemeinde.